Donnerstag, 11. Februar 2016

Brief 106 vom 9./15.2.1941


Meine liebe Frau!                                                                             O.U., den 9.2.1941     

Wieder haben wir Sonntag. Einen Tag, an dem man sich ausruhen kann. Man merkt es heute förmlich. An Wochentagen, da haben wir einen Autoverkehr durch unsere Straße und in der ganzen Stadt. Kolonnenweise fahren sie hier durch, vom kleinsten Personenwagen bis zum größten Lastzug. Heute ist es wie ausgestorben. Wir sind auch nicht böse darum. Ich habe mit meinem Kameraden Graser wieder mein sonntägliches Morgenbad genommen. Es hat uns außerordentlich gut getan. Notwendig ist es ja immer wieder, und letzten Endes soll man solche liebgewordenen Gewohnheiten nicht aufgeben.
Manchmal will es scheinen, als ob es hier auch auf den Frühling zugeht. Vor Tagen habe ich schon Schwärme von Staren gesehen, die sich noch in der Stadt aufhalten, bis das Wetter draußen für sie brauchbar ist. Heute ist ein ganz mildes Wetter und ein lauer Wind weht durch die Straße. Ich bin froh darum, denn dann wird die Versorgung der Stadt mit Kohle nicht zu einem gar so schwierigen Problem.
Gestern hat Graser seine Beförderung, die er in der Heimat erfahren hat, auch hier bestätigt erhalten. Er ist jetzt Sekretär und steht jetzt im Range eines Leutnants. Er hat sich mächtig darüber gefreut und wir auch mit. Diese ganze Beförderung ist ja auch noch eine Geldangelegenheit. Mit seinem Bekleidungsgeld und mit seiner Nachzahlung erhält er etwa 500.-RM ausbezahlt. Im Laufe der kommenden Tage wird wohl bei ihm nun damit eine Feier verbunden werden. Wie es nun mit meinem Kurs werden wird, bin ich gespannt. Ehe ich aber von dem Zustandekommen von Karlsruhe keinen Bescheid bekomme, nützt nun wieder jede Genehmigung von hier nichts. Ich werde es wieder mit dem bewährten Prinzip halten müssen, abwarten.
Gestern erhielt ich Deinen lieben Brief vom 5.2. Ich muß leider immer wieder lesen, dass die Post so unregelmäßig bei Dir eingeht. Den Weihnachtsbaum habt Ihr nun endgültig versorgt. Wegen der Schokolade will ich sehen, ob ich nochmals ein Paket bekommen kann. Bestimmt kann ich es nicht versprechen, aber Du weißt ja, dass ich Dir gerne so einen kleinen Wunsch erfülle, wenn es mir möglich ist.
Jetzt haben wir es hier auch soweit, dass die jüdischen Geschäfte gekennzeichnet worden sind. Alle haben ein großes gelbes Plakat in drei Sprachen mit einem großen blauen Stern. Diese Maßnahme ist ja vorwiegend wegen den Soldaten durchgeführt worden. Verschiedene lassen sich aber immer noch durch die billigeren Preise anlocken und gehen doch noch hinein. Der Ordnungsdienst hat da schon zu tun, um derartige Ausschreitungen zu verhindern. Es ist aber sehr wichtig gewesen, dass dies gemacht wurde, man sieht jetzt erst, wie viele es solche Geschäfte gegeben hat.
Ich grüße Euch alle wieder recht herzlich und sende Euch ebenso viele herzliche Küsse. Dein Ernst.

Meine liebe Annie!                                                                  O.U., den 15.2.1941    

Ich habe Deine Briefe laufend erhalten. Die letzten Tage war ich sehr in Anspruch genommen, vor allem auch deshalb, weil ich immer in der Spannung bin, dass ich weg komme. Heute ist nun die Bestätigung gekommen, dass ich von meinem Chef für 3 Monate beurlaubt werden kann. Es hat sich also etwas länger hinaus gezogen, wie ich dachte. Meine Reise werde ich also wahrscheinlich am Dienstag oder Mittwoch antreten, je nach dem, wie es der Dienst erlaubt. Ich werde erst zwei Tage zu Euch kommen und dann nach Karlsruhe fahren. Über alles Weitere können wir ja sprechen. Ich freue mich jedenfalls auf unser Wiedersehen.
Für heute grüße und küsse ich Euch alle und Dich besonders, wenn ich heim komme. Dein Ernst.

Brief 105 vom 6./7.2.1941


Meine liebe Annie!                                                                           O.U., den 6.2.1941    

Gestern kam ich leider nicht dazu, Dir zu schreiben. Kamerad Graser hat plötzlich so eine Art Mundfäule bekommen, so dass er daheim bleiben musste. Ich habe ihm seine Arbeit abgenommen, weil die anderen Kollegen, die dafür noch in Frage gekommen wären, so „überlastet“ sind. Heute hat nun für einen halben Tag ein anderer einspringen müssen. Ich kann nun wieder einen Teil meiner Arbeit nachholen. Morgen wird Graser sicher wieder zurück kommen, wenn es ihm einigermaßen besser geht.
Ich habe Dir die Durchschläge meiner Schreiben mit beigefügt, die Dir zur Unterrichtung in den Angelegenheiten dienen sollen. Der Chef hat noch dazu geschrieben, dass ich hier das Kraftfahrwesen bearbeite, und dass ich ein fleißiger und tüchtiger Mitarbeiter sei. Er hielte die Teilnahme an dem Kurs für meine weitere Ausbildung für notwendig. Ich muß ja auch noch abwarten, was ich für Bescheid von Konstanz erhalte.
Deine beiden Briefe vom 2. und 3.2. habe ich heute erhalten. Ich danke Dir herzlich dafür. Außerdem erhielt ich noch Deine kleine Sendung mit Pralinen, über die ich mich auch wieder gefreut habe. Während Siegfrieds Urlaub hast Du Dir nun verschiedene Filme ansehen können, was ich sehr begrüße, denn sonst ist es ja schon schwer für Dich, loszukommen.
Als wir heute früh aufwachten, war alles verschneit. Es lag eine Schneedecke von etwa 10cm. Es hat den ganzen Tag teilweise sturmartig runterfallen lassen, was nur ging. Erst gegen Abend hat es etwas nachgelassen. Der Verkehr wird ja dadurch nicht unwesentlich behindert. An verkehrsreichen Stellen ist schon der schlimmste Matsch.
Ich bitte Dich heute, mit meinem kurzen Schreiben vorlieb zu nehmen. Es wird Morgen sicherlich zu mehr reichen. Herzlich grüßet und küsst Dich und die Kinder Dein Ernst.


Gutes Mädel!                                                                                         O.U., den 7.2.1941   

Aus Deinem Brief vom 3.2., den ich heute erhielt, habe ich in Bezug auf Siegfried genau das herausgelesen, was ich geahnt und vorausgesehen hatte. Als ich den Brief von den Eltern las und sie schrieben, dass sie Oma zu sich heim nehmen wollen, habe ich mir gleich gedacht, das gibt bei Siegfried eine Katastrophe. Nach Deiner Schilderung ist es auch nicht weit davon entfernt gewesen. Ich bin nur gespannt, wie sich da die Dinge entwickeln. Hoffentlich kommt es zu einer beiderseitig befriedigenden Lösung. Ich würde es auch im Interesse Deiner Mutter wünschen. Es besteht für uns aber keine Möglichkeit und auch keine Befugnis, in die Verhältnisse einzugreifen. Schließlich sollte Siegfried auch wissen, was er tut, obwohl er sich nach so vielen Irrungen nun einmal so oder so entscheiden sollte. Doch bei uns ist es ja so, dass wir nicht groß mitreden können.
Ich kann mir gut vorstellen, wie Du auf Deine Art die Dir überflüssig erscheinenden Gespräche Siegfrieds abgebogen hast. Es freut mich, dass es auch ihm in unserem Haus gefallen hat. Bis jetzt kann sich auch noch niemand darüber beschweren, dass er nicht gastfreundlich aufgenommen worden ist, soweit er sich an unsere Hausordnung gehalten hat. Da hat er wahrscheinlich einen ziemlich regen Briefwechsel gehabt. Es hat mich nur sehr gefreut, dass die Tage für Dich soweit friedlich verlaufen sind. Daß es ihm bei uns gefallen hat, geht ja schon daraus hervor, dass er nur einen Tag Nachurlaub bei Dir eingegeben hat; oder ist es das beklemmende Gefühl bei ihm gewesen, Tatsachen zu begegnen, die ihm nicht angenehm sind. Na, lassen wir die Dinge laufen, wir werden schon wieder hören.
Unser Schnee hat uns heute auch wieder ganz plötzlich verlassen. Nur einige Haufen mit Schneematsch und einige Pfützen zeugen noch davon. Ich lasse Dir heute ein Stoffmuster mit zugehen. Von dieser Sorte habe ich mir einen Mantel bestellt. Er soll etwa 45 /50 RM kosten. Ich denke, dass ich das mit abtragen werde. Sende es mir doch bitte wieder zurück, zum Vergleichen bei der Fertigstellung. Wegen des Geldes überlasse ich Dir es, was Du entbehren kannst. Bei uns sind hier die Verhältnisse ziemlich unklar. Wir wissen nicht, ob in den nächsten Wochen unsere Dienststelle der Oberfeld- oder der Feldkommandantur zugewiesen wird. Unser Chef hat die Absicht, in die Heimat zurück zu gehen, so dass diese Maßnahme notwendig wird. Wegen mir sind die Dinge ja auch noch unklar, ob ich für den Kurs freigegeben werde und zweitens, ob der Lehrgang überhaupt steigt. Wie immer werden wir es auch hier machen, wir warten ab. Dir hatte ich, so viel ich in Erinnerung habe, schon mitgeteilt, dass ich gegen den Bezug der Frauenwarte nichts einzuwenden habe, doch bitte ichn Dich, darauf zu achten, dass Du kein großes Abonnement eingehst.
Was machen unsere beiden Stromer? Sind sie auch brav und musst Du Dich nicht fest mit ihnen ärgern? Helga soll nur schön weiter lernen und Jörg soll nicht so einen dicken Kopf haben. Du selbst bleib schön gesund und sei recht vielmals gegrüßt und geküsst von Deinem Ernst.

Brief 104 vom 4.2.1941


Meine geliebte Annie!                                                                   O.U., den 4.2.1941 
                                          
Vielen Dank für Deinen lieben Brief vom 1.2.41. er hat mich herzlich gefreut und ich danke Dir deshalb nochmals. Ich weiß ja, dass Du das viele Ausgehen nicht gewöhnt bist, aber siehst Du, dafür bin ich die letzten Abende sehr häuslich gewesen. Es gleicht sich also alles aus. Du bist ja dann die ganze Zeit wieder an die Wohnung gebunden, so dass Dir diese kleine Unterbrechung nichts schaden wird. Ich möchte Dich aber nochmals bitten, nicht immer solche Lobeshymnen auf mich anzustimmen. Bekanntlich ist es ja so, dass derjenige sonst eitel und selbstgefällig wird, von dem die Rede ist. Es ist eine reine menschliche Eigenschaft, die immerhin entschuldbar wäre; doch es ist ja nicht notwendig, die Geister erst zu beschwören.
Ich erhielt außerdem noch den Brief Deiner Eltern mit den verschiedenen Durchschlägen. Ich kann mir manchmal auch nicht denken, dass Du die Tochter Deiner Eltern bist. Wie sind doch die so genannten Großstädter so klein, obwohl sie sich über den Dingen stehend glauben. Machen die ein Getue wegen der Geschenke. Ich finde, sie freuen sich mehr darüber, dass andere sich darüber ärgern. Eine reine gewöhnliche Freude kann ich aus den Zeilen nicht herauslesen. Wenn ich ehrlich sein soll, fand ich, dass Dein Vater wohl wieder viel geschrieben hat. Es war aber wieder dasselbe, was er uns schon seit Jahren immer mitteilt, abgesehen von kleinen Abwandlungen. Wir haben uns doch sehr auseinander gelebt. Ich habe auch das Empfinden, dass mit Siegfried das Verhältnis etwa gleichartig ist. Interessant finde ich auch wieder die Wendung Deines Vaters, wie er sich für eine Verwendung meines Einflusses für Siegfrieds späteres Fortkommen einsetzt. Na, lassen wir das.
Ich werde in meiner Sache morgen früh gleich an die Stadt und die vorgesetzte Dienststelle hier schreiben. Es ist ja auch noch nicht gesagt, dass der Lehrgang voll besetzt werden kann. Also abwarten, heißt hier die Parole.
Ausnahmsweise habe ich heute Abend fast zwei Stunden gelesen, ehe ich den Brief an Dich geschrieben habe. Anschließend möchte ich noch Strafakten zu meiner Unterrichtung in einem Kraftfahrzeug-Unfall durchlesen. Bis dahin ist es dann auch wieder spät genug zum Schlafengehen. Ich sende Dir wiederum recht viele herzlich Grüße und Küsse. Unseren beiden Stromern gib auch wieder einen kräftigen Kuss von Deinem Ernst.
Heute hab ich ja auch noch Dein liebes Päckchen mit dem Gebäck erhalten, wofür ich Dir auch noch danken möchte.
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                                                                                                                             Lille, den 4. Februar 1941.
An die
Oberfeldkommandantur 670 (V)
Chef der Militärverwaltung
Über den Herrn Stadtkommissar
Lille

Gemäß der beigefügten Abschrift werde ich von meiner Heimatbehörde aufgefordert, an einem Lehrgang für den mittleren Dienst teilzunehmen. Es handelt sich hierbei um eine Ausbildung, die für mein späteres Fortkommen notwendig ist. Ich bitte deshalb um Beurlaubung für die Dauer des Lehrganges.

Heil Hitler!
K.V. Betriebs-Assistent
1 Abschrift
K.V.B.Assistent E.Rosche
Feldpostnummer 29297                                                                                                   U.O., den 4.Februar 1941

An den
Herrn Oberbürgermeister der Stadt Konstanz
z.Hd. von Herrn Rechtsrat Enapp
Konstanz a.B.
Betr.: Beurlaubung von Gemeindebeamten für Kriegslehrgänge

Heute erhielt ich Ihre Aufforderung an einem Lehrgang für den mittleren Dienst teilzunehmen. Sofern ich von meiner vorgesetzten Dienststelle für die Dauer des Lehrgangs beurlaubt werde, bin ich gewillt, an dem genannten Lehrgang teilzunehmen.

Heil Hitler!
KVB-Assistent
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Montag, 1. Februar 2016

Brief 103 vom 2./3.2.1941


Mein liebes Mädel!                                                                  O.U., den 2.Februar 1941         

Ich freue mich wieder mit Dir, dass Dir die Dir vorenthaltenen Briefe nun, wenn auch außer der Reihe, zugestellt werden. In Deinem Brief vom 29., den ich gestern erhielt, hast Du mir mitgeteilt, dass Du meine Briefe vom 15., 16. und 22.1. erhalten hast. Die anderen werde sicher auch inzwischen bei Dir angekommen sein.
Daß Helga so Freude an der Musik hat, ist mir eine Genugtuung. Wenn sie Lust hat, kann sie, wie wir es schon besprochen hatten, eine Blockflöte bekommen. Dies Instrument soll sich verhältnismäßig leicht lernen lassen. Wenn es ihr Spaß macht, soll sie von mir aus das Vergnügen haben. Wegen mir kannst Du ihr auch eine größere Mundharmonika anschaffen, damit sie etwas rechtes hat, nachdem sie schon über die ersten Anfänge hinaus ist. Tu also, was Du für am nützlichsten hältst.
Bei Euch ist es wieder kälter geworden. Heute hat es sich nach den vorangegangenen nebligen und regnerischen Tagen schön aufgeklärt. Die Sonne hat schön geschienen und der Himmel war so schön tiefblau. Es erscheint direkt als eine Seltenheit, wenn der Tag einmal nicht so grau und trübe ist.
Wegen der Umstellung auf unsere früheren Verhältnisse brauchst Du Dir bestimmt keine Sorgen zu machen. Wenn ich auch einmal später von hier erzählen sollte, so musst Du dies nicht für bare Münze nehmen. Glaube mir, nachdem wir aus einfachen Verhältnissen gekommen sind, macht mir dies keine Schwierigkeiten, mich wieder zurückzugewöhnen. Anders wären doch die Dinge, wenn es umgekehrt gewesen wäre. Zudem ist es doch so, dass sich neben der wahrscheinlichen Hebung des allgemeinen Lebensstandards, sich auch für mich die Möglichkeit bietet, entsprechend meinen Kenntnissen und Fähigkeiten irgendwo unterzukommen. Eine Veränderung käme dann selbstverständlich nicht anders in Frage, wenn eine Verbesserung für mich für mich dabei wäre. Im Übrigen kannst Du Dich darauf verlassen, dass ich meine drei daheim nicht vergesse und dass ich sie lieb behalte. Bevor ich Deinen gestrigen Brief erhielt, habe ich mich, obwohl die vergangene Zeit fast jeden Abend bei Gauguies war, verschiedene Abende dort nicht mehr sehen lassen und bin gleich nach dem Essen heim gegangen. Es hat zwar einiges Aufsehen erregt, aber Du weißt ja, wenn ich mir einmal was in meinen dicken Schädel gesetzt habe, so muß das durchgeführt werden. Na, Du kennst ihn ja in anderer Beziehung selbst zur Genüge.
Ist Siegfried so schwach in den Nerven, dass er sich nur mit einem unserer Borzeln in die Stadt wagt? Etwas mehr Schneid hätte ich ihm schon zugetraut. Heute hat ja das letzte Urlaubsstündlein für ihn bei Euch geschlagen. Seine Zusätze unter Deinen Briefen fand ich übrigens sehr inhaltsreich und nichtssagend. Lassen wir ihn so, wie er ist, wir sind doch keine Menschenverbesserer. Ich nehme an, dass Du in einer Art froh sein wirst, wenn Du wieder allein bist, abgesehen davon, dass ich jetzt nicht da sein kann.
Von meinen Kameraden soll ich Dich herzlich grüßen, ebenfalls von der Familie Gauguie. Ich selbst grüße Euch recht herzlich und sende Euch viele Küsse. In fester Verbundenheit bin ich immer Dein Ernst.

Meine liebe Frau!                                                                   O.U., den 3.Februar 1941     

Ich erhielt heute Deine beiden lieben Briefe vom 30. und 31.1.1941 und danke Dir recht herzlich dafür. Bevor ich jedoch auf diese eingehe, muß ich Dir von einem weiteren Brief berichten, der heute bei mir ankam. Die Stadt hat mir heute geschrieben, ob ich an einem dreimonatlichen Lehrgang für den mittleren Dienst teilnehmen will, der zwischen dem 6. und 15. 2. beginnen soll. Ich habe diesen Brief meinem Chef vorgelegt, der jedoch anfänglich Bedenken hegte, doch mir am Ende riet, ich soll ein Gesuch um Beurlaubung für diese Zeit einreichen. Wie ich die Dinge bei ihm gesehen habe, glaubt er zwar, mir wenig Hoffnung machen zu können. Ich habe mir nun nochmals alles überlegt und auch mit meinen Kameraden darüber gesprochen. Ich werde der Stadt in zusagendem Sinne schreiben, und hier versuchen, in gleichem Sinne zu wirken, um los zu kommen. Ob es zwar gelingt, weiß ich noch nicht. Über das Ergebnis meiner Bemühungen werde ich Dich stets auf dem Laufenden halten. Es wird sich ja zeigen, was ich hier erreiche.
Wie bei Euch, hat seit gestern auch bei uns die Witterung umgeschlagen. Es weht ein kalter Wind und die Temperatur steht auf -3°. Es freut mich, dass Du wieder einige Male im Kino warst. Ich bin heute auch wieder einmal drin gewesen. „Renate im Quartett“ wurde gespielt, was sehr nett und unterhaltend war. Ja, es ist doch ein wesentlicher Unterschied zwischen deutschen und französischen Filmen. Am Samstag war ich mit dem Tommy auf Freikarte in einem französischen Film. Als ich wieder rausging, musste ich mich erst fragen, was wollten die eigentlich? Wenn ich draußen während dieser Zeit eine weiße Wand angestarrt hätte, wäre ich genauso weit gewesen.
Siegfrieds Bemerkung unter seinem letzten Brief, dass Du ihn nicht mit nimmst, weil Du Dich seiner Aufsicht entziehen willst, ist zwar sehr unpassend und auch unnötig. Du hast es gewiß nicht nötig, solche Aufsicht anzunehmen. Ich habe auch ohne ihn ein großes Vertrauen zu Dir und nicht einmal Angst, dass etwas vorfällt, wie er schreibt. Ich will mich auch nicht weiter darüber ärgern, denn er ist ja nun bereits wieder in Leipzig.
Über die jeweiligen Grüße und Küsse von unseren beiden Stromern freue ich mich jedes Mal. Sage ihnen meinen besten Dank und ich erwidere sie ebenso herzlich und kräftig. Dich selbst aber grüßt und küsst in gleicher Weise Dein Ernst.
Abschrift der Stadt füge ich zu Deiner Information mit bei. Du wirst sie schon lesen können.

Brief 102 vom 30./31.1.1941


Meine liebe Annie!                                                                                  O.U., den 30.1.41              

Ich kann fast nicht verstehen, warum Du so unregelmäßig Deine Post erhältst. Ich schreibe doch immer regelmäßig, die Briefe müssen irgendwo unterwegs hängen bleiben. Ich will Siegfried auch deshalb seinen freundlichen Hinweis nicht persönlich nehmen, denn er gilt in diesem Fall an die Post weitergegeben.
Schade ist nun, dass sich der Pfaff nicht sehen lässt, wenn ich daheim bin, dann würde ich ihm Bescheid stoßen. Wenn er Dir ungemütlich wird, wirf ihn nur zum Tempel raus. Laß Dir nur von diesen Brüdern während meiner Abwesenheit nicht auch noch den Kopf schwer machen. Du kennst ja meinen Standpunkt in dieser Beziehung, und wenn es diesem Herrn nicht passt, nehmen wir sie ihm auch noch aus dem Unterricht heraus.
Vor acht Jahren erlebten wir bei uns daheim den großen Umbruch. Wer hätte es damals gedacht, dass wir nach 8 Jahren schon seit Monaten in Frankreich sitzen. Inzwischen wurde Unmögliches möglich gemacht. Wir hörten heute gemeinsam auf unserer Dienststelle die Rede des Führers, die an Sarkasmus ja nichts zu wünschen übrig ließ. Nach seinen Ankündigungen zu urteilen, wird es für unsere Feinde ein schreckliches Ende nehmen. Wir sind jedenfalls bereit zu allem. Außer dieser Rede hatte ich heute noch eine andere Freude, die eigentlich auch zu einem 30. Januar gehört. Hier marschierten verschiedene Truppenteile, dass einem das Herz im Leibe lachte, als sie aufmarschierten. Mich freut dann immer besonders, wenn meine Kompanie, die 4. drankommt.
Ich glaube, dass es für Jörg unangenehm ist, wenn er bei dem schlechten Wetter nicht so aus dem Zimmer heraus kann, wie er es gerne möchte. Wie Du aber schreibst, weiß er sich auch in der Stube zu beschäftigen.
Ich begrüße es, wenn Du anlässlich Siegfrieds Besuch wieder abends etwas ausgehst, damit Du wieder etwas siehst und für eine Weile auf andere Gedanken kommst.
Heute möchte ich noch etwas lesen. Ich bin zu diesem Zweck wieder zeitig nach Hause gegangen. Demnächst werde ich auch wieder einmal ins Theater gehen, sonst wird man ganz einseitig. Ich grüße und küsse Euch, meine Lieben daheim, recht oft und herzlich. Dein Ernst

Herzliebes Mädel!                                                                             O.U., den 31.1.1941    

Ich danke Dir vielmals für Deinen Brief vom 28.1 und freue mich mit Dir, dass Du endlich wieder einen Brief von mir erhalten hast. Nachdem Du so lange hast warten müssen, war es ja auch höchste Zeit. Mit meinem Arm habe ich fast kaum Schwierigkeiten mehr. Ich habe auch keine Sorgen mehr damit, es wird sich auch wieder einmal ganz verlieren.
Wegen des Fisches habe ich Dir ja inzwischen Bescheid gegeben, es ist Lachs. Wenn er Euch geschmeckt hat, bin ich ja zufrieden. Dieser Tage werde ich auch noch diese Rechnung bezahlen, dann bin ich wieder ganz schuldenfrei. Ich habe mir meine Sachen diese Woche wieder etwas herrichten lassen, dann ist auch immer wieder einmal das Bügeln der Hose fällig, oder wie heute, das Herrichten der Feldbluse. Es sind zwar Kleinigkeiten, doch sie wollen auch erledigt werden, denn man will ja schließlich anständig herumlaufen.
Die Rätselsendung habe ich übrigens auch gehört, und ich muß Dich direkt bewundern, mit welchem Eifer Du dabei warst. Herzlichen Glückwunsch zur richtigen Lösung, denn sie stimmt.
Gegenwärtig mache ich an einem Rachen- und Nasenkatarrh herum, bei dem man noch nicht genau weiß, ist er im Entstehen oder im Abflauen begriffen. Es ist ja schließlich ganz gleich, ich bin aber froh, wenn wieder bei solcher Gelegenheit aller Unrat, der sich im Laufe der Zeit im Körper angesammelt hat, wieder herausgeschafft wird.
In unserer Zeitung ist heute wieder ein Bild von Konstanz drin, außerdem findest Du noch einen Artikel mit einem kleinen Bild von Flandern, die sehr treffend die Landschaft kennzeichnen. Ich laß Dir die Zeitung mit zugehen.
Ich möchte für heute schließen und Dir eine gute Nacht zurufen. Grüße und küsse unsere beiden Borzels von mir und sei Du selbst vielmals grgrüßt und geküsst von Deinem Ernst.