Montag, 13. Mai 2019

Brief 536 vom 13.05.1944


Du mein gutes, liebes Mädel !                                                                     13.5.44    
      
Gestern war ich den ganzen Tag auf Achse und kam deshalb nicht zum Schreiben. Ich fuhr von Brestlitowsk nach Beranowitsch, um dort die gesuchte Einheit zu finden. Der Zug hielt dort ziemlich lange, so daß ich mir meine Auskunft holen konnte und zur Weiterfahrt nach Minsk in meinen vorherigen Zug einstieg.  Gegen 7 Uhr erreichte ich nach 13 Stunden Fahrt diese Ziel. Es ist an sich eine langweilige Angelegenheit, es ist jedoch anzunehmen, daß mir die kommenden Tage ziemlich kurzweilig gestaltet werden, dafür werden dann die Vorgesetzten schon sorgen. Ich muß es eben hinnehmen, wie die anderen Soldaten, auch wenn es schwer fällt. Der Unterschied macht sich allenthalben bemerkbar. Wenn ich den Unterkünften gedenke und die anderen Vorzüge, die ich bisher genaß trotz aller kriegsnotwendigen Erscheinungen, so kann ich nur feststellen, daß es ein schlechter Tausch ist, den ich eingegangen bin. Hier gab es anscheinend Wanzen im Quartier, doch ich glaube annehmen zu dürfen, daß mir diese Biester nichts machen, denn die anderen Kameraden jammerten alle, während ich nichts merkte. Ich wünsche mir nur, daß es auch ferner so bleibt. Es ist jetzt Frühkonzert.  Die Zeit bis zur Öffnung der Dienststellen benutze ich gleich, um Dir diesen Morgengruß zu senden. Ob die Einheit nun hier liegt, weiß ich noch nicht genau, das erfahre ich erst später. Wenn ich dann meine neue Anschrift bekommen sollte, dann lasse ich sie Dir gleich wissen, damit auch ich nicht allzu lange auf Nachricht von Dir warten muß.  Es interessiert mich ja auch, wie Ihr zurecht gekommen seid, wenn ich auch fest hoffe, daß alles geklappt hat. Da habe ich bei Durchsicht meiner Papiere noch einige Marken gefunden, die Du mir in Leipzig gabst zum Einkauf von Schwarzgebäck. Du kannst sie sicherlich gebrauchen und mir sind sie hier im Wege. Soweit ich Zeit dazu habe, begleiten Euch stets meine Gedanken. Sicherlich seid Ihr schon baden gewesen.  Das Wochenende wird nun noch Zeit und Gelegenheit geben, manches, was aus dem Geleise gekommen war, in Ordnung zu bringen. Die Kinder sind jetzt wahrscheinlich auf dem Wege zur Schule und Du hast Deine eigentlichen Arbeiten, die ja immer wieder anfallen. Im Garten wirst Du nun auch langsam die Übersicht wieder bekommen haben, was am vordringlichsten zu machen ist. Aber immer schön eins nach dem anderen.
Da fällt mir noch etwas ein. Vater hatte ein Feuerzeug, bei dem er nicht wußte, wie es aufgeht. An der einen Seite befindet sich ein Druckknopf, den muß er nur niederdrücken, dann kann er die Hülse herausziehen. Ich habe es mir von einem Kameraden zeigen lassen, als ich das gleiche Feuerzeug sah.
Jetzt habe ich wieder eine neue Auskunft in der Tasche. 40 km in westlicher Richtung heißt es nach dem neuen Marschbefehl, Koidanow nennt sich das neue Nest. Ich werde wohl auch dort nicht endgültig bleiben. Morgen früh setze ich mich in Marsch. Das ist alles nicht so einfach, aber mit der Zeit werde ich es schon noch schaffen. Ich habe im Gefühl, daß wir für die Bewachung der Bahnlinie Beranowitsch/Minsk verwendet werden. Aber erst heißt es abwarten, bis alles soweit ist. Ich habe mir vorhin noch einen Satz Briefmarken besorgt, den ich Dir gleich mit zuleite. Du hebst ihn bitte für mich mit auf.
Das Wetter ist auch hier recht heiß geworden, obwohl die Bäume, Wiesen und Felder noch einen Zustand aufweisen wie bei uns, als ich in Urlaub kam. Mir kommt es so vor, als wenn ich dem Frühling nachreise. Der Hahnenfuß streckt hier erst seine Blüten heraus und auch die Küchenschelle blüht wunderbar.
Doch das ist alles kein Anlaß, mich über meine gegenwärtige Lage hinwegzutäuschen. Ich bin zwar nicht trostlos, aber immerhin innerlich wenig zufrieden, wenn ich es auch nicht so schlecht habe, daß es nicht zum Aushalten wäre. Denn ich werde es schon schaffen, darauf kannst Du dich verlassen.
Bleibt mir, Ihr meine Lieben, ganz fest gesund und denkt wie immer an mich, wie ich das jederzeit an Euch tue. An alle anderen werde ich erst schreiben, wenn ich meinen neuen Aufenthaltsort habe.
Lasse Du Dich und die Kinder vielmals grüßen und recht herzlich küssen von Deinem immer im Geiste bei Euch weilenden Ernst.

Brief 535 vom 02.05.1944


Du mein ganz lieber Schatz!                                                                               2.5.44  
      
 Manchmal kann ich es mir nicht so richtig zusammenreimen, daß nun tatsächlich schon wieder eine Woche vergangen ist seit ich mich nach dem letzten Urlaub von Euch trennen mußte. Doch wenn ich in meinem Kalender nachsehe, dann ist doch so. Ich muß aber außerdem noch feststellen, daß ich heute vor einem Monat bei Euch ankam. Was war das für ein Jubel und für eine Freude bei uns allen. Aber es ist nun einmal alles vergänglich und leider auch jeder Urlaub. Hoffen wir, daß es mit dem Kriege auch bald soweit sei wird. Wunderbar ist es, wenn man immer mit einer stillen Freude an die herrlichen Tage zurückdenken kann, die wir miteinander verbracht haben und das ist es schließlich immer wieder, was mich hochhält, wenn ich mir sage, daß ich dafür all dieses auf mich nehme, wenn es in der Hauptsache auch durchaus nicht erfreulich ist. Das sind aber Dinge, an denen wir nicht viel ändern können, darum müssen wir ihnen im großen und ganzen ihren Lauf lassen.  Aber auch die Angelegenheiten die hier abzuwiegeln sind, gehen, ich möchte schon fast sagen, grundlegend einen anderen Lauf, wie ich sie mir anfänglich ausgemalt habe. Heute will es mir fast scheinen, als sei ich etwas voreilig gewesen, als ich Dir am 27. das Telegramm sandte, denn ich sitze vorerst noch hier, und ich kann heute immer noch nicht absehen, wie sich alles regelt. Ich kam hierher und wurde gleich aufgefordert, mich mit einer neuen Kluft zu versehen. Das ist ja inzwischen geschehen. Aber wie das nun einmal so ist, es zeigen sich so Dinge, die man jetzt noch erledigen kann, wozu ich bisher immer keine Zeit hatte, weil ich mir meinen Urlaub dachte nicht verlaufen wollte und andernteils, weil man mir dafür auch sonst keine Gelegenheit gegeben hätte.  Ich will mir hier noch meine Zähne nachsehen lassen. Vor allem vielleicht auch die Krone, die mir vor einiger Zeit zersprungen war. Ob das möglich ist, das stellt sich erst morgen heraus Davon hängt wohl dann auch die Dauer meines weiteren Aufenthalts hier ab. Wenn das nicht so geht, wie ich mir das vorstelle, dann kann es sein, daß ich noch im Laufe dieser Woche von hier abrolle, andererseits kann es erst im Laufe der kommenden Woche soweit sei. Ich hatte nach meinem letzten Schreiben die Absicht, Dir heute zu telefonieren. Nach Lage der Dinge ist es aber so, daß ich heute nicht gewußt habe, was ich Dir heute hätte sagen sollen. Außerdem bestehen große Schwierigkeiten mit der Erreichung der Anschlüsse, so daß man sich fast den halben Tag versitzt. Mit einem Telegramm ist meist auch fast nichts erreicht, so daß ich mir dachte, ich werde Dir die gegenwärtige Lage doch schriftlich auseinandersetzen.   Es ist gleich Mitternacht. Ich komme gerade vom Luftschutzdienst zurück. Es war jetzt nur kurz und wir können froh sein, daß wir in den letzten beiden Nächten verschont wurden. Aber man ist oben keine Minute sicher ob es wieder anfängt. Das ist an sich auch gleichgültig, denn ich will auf die Dinge zurückkommen, die uns berühren.
Wenn ich noch einige Tage hier bleibe, dann wollte ich Dich erst bitten, daß Du von Leipzig zu mir herüberkommst. Es besteht aber eine Schwierigkeit und das ist die der Quartierbeschaffung. Wenn ich etwas mehr über meine Zukunft weiß, dann könnte ich über die hiesige Dienststelle wahrscheinlich eine Unterkunft erhalten. Wenn ma nso ein Bett erhält, dann hat man das einem großen Zufall zu verdanken. Ich frage mich nur, soll ich Dich weiter in Leipzig lassen, oder bist Du dort im Wege? Du kannst mir an die Adresse nach hier Post senden, die wird mir schon ausgehändigt. Ich hätte Dich gerade in diesen Tagen gern bei mir gehabt, um mich mit Dir über verschiedene Dinge zu besprechen, die mir sehr am Herzen liegen. Da dies aber nicht geht, so muß ich mich schon selbst entscheiden und allein mit allem Drumrum. Sobald alles einigermaßen durchsichtiger wird, dann gebe ich Dir weiteren Bescheid. Ich habe hier sonderbaren Dienst zu versehen. Ich mußte heute beim Major im Garten Misthaufen umsetzen. Das ist doch eines Soldaten durchaus würdig. Mit etwas muß man ja wiederum beschäftigt werden. Aber ich muß mir auch sagen, daß ich vielleicht um jeden Tag froh sein kann, den ich noch hier sein kann.
Rosig wird es im Osten wohl auch nicht sein. Als ich mit der Frau sprach, kam auch auf die mangelnden Kartoffeln die Rede. Sie erbot sich gleich bereit, mir einen Karton voll abzugeben. Ich habe ihn ohne große Widerrede angenommen. Ich weiß nicht, wie weit Du durch mein plötzliches Telegramm mit den Gartenarbeiten weitergekommen bist. Ich denke, daß Du sie vielleicht noch mit verwenden kannst. Ich habe alles eingepackt und werde vorsichtshalber das Paket an Vater senden, damit er es vorläufig in Empfang nimmt. Ich gebe ihm von mir aus noch Bescheid. Morgen will ich das Paket als Express aufgeben, dann wird es bald daheim sein. Wenn Du die Kartoffeln nicht für den Garten brauchst, dann kannst Du sie ja zum sonstigen Gebrauch verwenden.
Das wäre heute so alle, was ich Dir erst einmal mitzuteilen hätte. Sei mir bitte nicht böse, daß ich immer noch im negativen Sinne schreiben muß, aber ich komme selbst nicht umhin. Lasse Dich recht herzlich grüßen. Küsse die Kinder fest von mir und grüße Deinen Vater, sowie die anderen alle. Dir gebe ich einen ganz festen lieben Kuss und bin in treuem Gedenken an schöne Tage Dein Ernst. Wir waren nach Leipzig gefahren und haben dann auch unseren Vater noch getroffen. Der Aufenthalt war ein wenig schwierig, weil die zweite Frau meines Großvaters mit uns nichts anfangen konnte. Wir sind dann praktisch den ganzen Tag in dem zerstörten Leipzig herumgelaufen und haben auch ein paar Verwandte oder Bekannte besucht.

Brief 534 vom 26.04.1944


Du mein liebster Schatz, mein liebes gutes Mädel!                                         26.4.44 
     
Herrlich schone und harmonische Urlaubstage liegen wieder hinter mir, in denen ich mich wohl nicht gerade körperlich aber doch innerlich seelisch bei Dir habe ausruhen können. Wenn ich so zurückdenke, muß ich mich selbst wundern, wie viel ruhiger ich doch gelebt habe in all diesen schönen Tagen als die Wochen und Monate vorher. Für alles das, was Du mir geboten hast, muß ich Dir hiermit schriftlich noch einmal meinen herzlichen und innigen Dank sagen, was ich bereits mündlich getan habe. Auch das Verhältnis zu den Kindern war wieder voll von aufrichtiger Freude, die wir uns gegenseitig versuchten zu machen. Die kleinen Streiche gehören nun einmal zu ihrem Leben wie alle anderen Notwendigkeiten und Bedürfnisse. Ich hatte mich darum gefreut, als ich Euch Euren kleinen Wunsch auf Mitfahrt bis nach Singen erfüllen konnte, denn wie ich Dir gestern schon sagte, seid Ihr doch im Moment nicht so vom Eindruck der neuerlichen Trennung gepackt, wie wenn Ihr in Konstanz geblieben wärt und vom Bahnhof hättet nach hause gehen müssen. Im Geiste sehe ich Euch Drei noch auf den Bahnsteig in der Spätnachmittagssonne stehen und winken. Im Hintergrund stand Vater, der sich auch nicht nehmen ließ, mitzufahren. Obwohl das Wetter vorher und auch hinterher wenig schön und einladend war, so standet Ihr Drei verklärt im Sonnenlicht und symbolhaft für die vergangenen Urlaubstage sowie als Überleitung in eine mir zwar noch unbekannten Zukunft. Wenn sie etwas von der Helle und von dem Licht hat, das Ihr mir nachwinktet, dann will ich sehr zufrieden sein. Bis jetzt habe ich aber immer noch Veranlassung, mich der Liebe und der treuen Sorge zu erinnern, mit der Du mich während der vergangenen Wochen umgeben hattest. Leider konnte ich mit meinen Gegenbeweisen nicht in gleicher Weise aufwarten, wie ich es gern gewollt hätte. Ich bin aber davon überzeugt, daß auch Ihr mit diesen Erholungswochen zufrieden seid, was dadurch noch verschönt wurde, das unsere beiden Lauser auch gerade Ferien hatten. Ich hoffe nun, daß Ihr auch bald wieder in den normalen Kriegsalltag einlebt und daß Ihr die Spannung der Trennung überwindet, ohne daß Ihr es Euch zu schwer werden läßt.
Ich bin trotz einer Verspätung des Zuges unterwegs, die mir das Verpassens des Anschlusszuges in Fulda einbrachte, hier wohlbehalten und fahrplanmäßig angekommen. Ich habe alles gut überstanden. Ich sitze jetzt hier zum Mittagessen in einer Gastwirtschaft und gehe am Nachmittag zu der Dienststelle, um mir neue Order zu holen. Ich bin also noch im unklaren, was sich ergibt. Ich habe aber das Bedürfnis, Dir erst einmal meine Gedanken mitzuteilen. Der kleine Rest Papier, der sich in meiner Brieftasche befand, muß dazu herhalten. Ich glaube aber, daß das ja nicht entscheidend ist. Sobald ich Genaues weiß, werde ich Dir gleich Mitteilung darüber zukommen lassen, denn ich will Dich ja auch nicht länger warten lassen, als notwendig.
Es ist nun inzwischen Abend geworden und ich will Dir noch mitteilen, was ich nun zu erfahren bekommen habe. Meine Vermutung, daß wir in den Mittelabschnitt kommen, hat sich also bestätigt. Von hier aus erhalte ich Marschbefehl nach Warschau zu Frontleitstelle, wenn ich hier umgekleidet worden bin. Es ist anzunehmen, daß dies bald geschehen sein wird. Ich sehe nur noch nicht klar, aber ich denke, daß ich es ermöglichen kann, daß ich in Leipzig wieder einige Tage Zwischenaufenthalt machen kann und ich würde dann rechtzeitig versuchen, Dir telegrafisch davon Bescheid zukommen zu lassen. Vielleicht kannst Du dann für diese zwei Tage ebenfalls dorthin fahren. Für hierher zu kommen, lohnt es sich nicht, weil hier alles so ungewiß ist. Ich hatte an diese Möglichkeit nicht gedacht, als ich noch daheim war, sonst hätte ich davon gleich in Kenntnis gesetzt. Ob nun dieser Brief eher ankommt wie meine evtl. beabsichtigte Nachricht, das kann ich ja noch nicht sagen, aber auf jeden Fall teile ich Dir dies heute noch mit.  Wie sich hier noch alles entwickelt, kann ich erst so nach und nach in Erfahrung bringen. Das ist vorerst das Wichtigste.
Es ist für mich nach der durchwachten Nacht schon recht spät. Die Fahrt steckt mir noch etwas in den Gliedern. Ich bin in der Kaserne untergekommen und werde mich nun in die Falle hauen. Morgen früh muß ich mich bald wieder melden, und ich denke doch, daß ich dann wieder einiges erfahren werde.
Gute Nacht und schlafe Du auch gut. Ich hoffe, daß Ihr, meine liebe Gesellschaft, alle gesund seid. Grüße Vater von mir recht herzlich und sage ihm auch, daß ich ihm für alles nochmals herzlich danke. Ihr selbst nehmt wieder recht viele liebe und herzliche Grüße entgegen von Deinem Ernst.